[LEERES_AUDIO] Mein Name ist Norman Backhaus. Ich bin Professor für Humangeographie. Einen besonderen Fall von Fliessgewässern stellen Wasserfälle dar. Sie sind markante Landschaftselemente und wurden aufgrund ihrer Erhabenheit häufig zum Sujet der romantischen Landschaftsmalerei, was uns Jan Seibert schon erzählt hat. Sie inspirierten aber auch Literaten, wie zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe, der vom Staubbachfall in Lauterbrunnental zum Gedicht "Gesang der Geister über den Wassern" animiert wurde, welches ich Ihnen jetzt vortragen möchte. Des Menschen Seele gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es. Und wieder nieder zur Erde muss es, ewig wechselnd. Strömt von der hohen, steilen Felswand der reine Strahl, dann stäubt er lieblich in Wolkenwellen zum glatten Fels, und leicht empfangen wallt er verschleiernd, leisrauschend, zur Tiefe nieder. Ragen Klippen dem Sturz entgegen, schäumt er unmutig stufenweise zum Abgrund. Im flachen Bette schleicht er das Wiesental hin, und in dem glatten See weiden ihr Antlitz alle Gestirne. Wind ist der Welle lieblicher Buhler, Wind mischt vom Grund aus schäumende Wogen. Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind! Was zeichnet nun Wasserfälle aus? Wasserfälle sind ein Flussabschnitt, bei dem sich das Gefälle markant auf über 100 Prozent oder 45 Grad erhöht. Damit ist die vertikale Komponente des Fließens größer als die horizontale. Der Wasserkörper zerfällt dabei teilweise oder ganz und löst sich streckenweise vom Untergrund. Es herrscht Spritz und Weißwasser vor und es ergibt sich eine charakteristische Geräuschentwicklung vom Rauschen bis zum Donnern. Die Entstehungsbedingugen für Wasserfälle sind sehr unterschiedlich. Oft entstehen sie, wenn benachbarte harte und weiche Gesteine unterschiedlich schnell erodiert werden. Bei einem Wasserfall können wir verschiedene Zonen unterscheiden. Wasserfälle verfügen über eine Kopfzone, in welcher der Wasserfluss abrupt oder allmählich in die Fallzone übergeht. In der Prallzone trifft das Wasser auf und fließt mit geringerem Gefälle weiter. In der Prallzone entstehen manchmal Tosbecken, sogenannte Gumpen, also kolkartige Vertiefungen. Hier sehen Sie eine Prallzone von oben betrachtet in diesem Foto. Anhand der Fallzone können verschiedene Arten von Fällen unterschieden werden. Grob unterscheidet man gemäß Schwick und Spichtig zwischen einem Einzelfall und einer Kaskade, bei der das fallende Wasser durch kleinere Strecken geringeren Gefälles unterbrochen wird. Von einer Kaskade spricht man dann, wenn die Gesamthöhe der Fallzone größer ist als die horizontale Distanz, die überwunden wird. Wenn die Horizontaldistanz größer ist als die Vertikaldistanz, so spricht man von einer Kaskadenstrecke, also einer Reihe von Einzelfällen. Hier sehen Sie links eine Kaskade und rechts eine Kaskadenstrecke von Einzelfällen. Beide sollten aber nicht verwechselt werden mit einem kaskadenartigen Einzelfall, wie jetzt in der Mitte zu sehen ist. Einzelfälle können nämlich unterteilt werden in freifallende Einzelfälle und kaskadenartige Einzelfälle. Beide Typen von Einzelfällen können wiederum unterteilt werden in Untertypen. Von vorne gesehen ergeben sich weiter vier verschiedene Fallbilder von denen es wiederum viele Mischformen gibt. Hier sieht man einen freifallenden Wasserfall. Und hier einen in mehrfachen Strängen fallenden Wasserfall. Und hier einen deckend fallenden Fall und hier schließlich einen verzweigt fallenden Fall. Freifallende Fälle können jedoch nicht verzweigte Fälle sein. Aufgrund ihrer Charakteristik weist die unmittelbare Umgebung von Wasserfällen ein spezielles Mikroklima auf. Gischt- und Sprühnebel haben eine ausgleichende Wirkungen auf die Temperaturen. Außerdem herrscht eine größere Feuchtigkeit. Für Flechten, Algen, Moose und Schnecken sind dies gute Lebensbedingungen, wie dies von Rodewald und Bauer beschrieben wird. Da diese Wasserfallökosysteme meist kleinräumig und isoliert sind, entwickeln sich auch endemische Arten. Darum hat das Versiegen eines Wasserfalls oft eine Verarmung der lokalen Artenvielfalt zur Folge. Nicht nur Goethe, Nietzsche und Tolstoi ließen sich von der Wucht der Wasserfälle begeistern, auch heute sind sie beliebte Naherholungsziele und touristische Objekte. Als Gebirgsland hat die Schweiz viele Wasserfälle. Der Rheinfall ist gar der wasserreichste Fall Mitteleuropas. Besucher und Besucherinnen von Wasserfällen werden vom sich bewegenden Wasser, von der kühlenden Gischt und vom Rauschen, aber auch vom Gesamtbild des Falls in seiner Landschaft angezogen. Einen besonderen Reiz haben auch Geschichten, wie beispielsweise zum Reichenbachfall bei Meiringen, bei dem Arthur Conan Doyle's Romanheld Sherlock Holmes in die Tiefe stürzte. In gewissen Kreisen gelten Wasserfälle auch als Kraftorte, was mitunter auch touristisch beworben wird, auch wenn es keine wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, dass Wasserfälle nicht über Instrumentemessbare Kräfte verfügen. Viele Wasserfälle der Schweiz sind gut zu Fuß erreichbar und laden zum Verweilen ein. Befragte Besucherinnen und Besucher berichten davon, dass Wasserfälle gleichermaßen beruhigend wie belebend auf sie wirken. Für eine gesundheitsfördende Wirkung von Landschaften brauchen Sie Eigenschaften, die das menschliche Wohlbefinden positiv beeinflussen. Studien an den Krimmler Fällen in Österreich haben gezeigt, dass die an Wasserfällen starkvorhandenen negativgeladenen Ionen das Immunsystem stimulieren. Sie führen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Funktion der Atemwege und verringern die Anfallhäufigkeit bei Allergikerinnen und Asthmatikern. Der Aufenthalt neben einem Wasserfall führt auch zu einer Verringerung der Herzfrequenz und zum psychischen Wohlbefinden. Leider ist die Existenz vieler Wasserfälle bedroht. Rund 60 Prozent aller Wasserfälle sind seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vor allem durch Wasserkraftnutzung beeinträchtigt worden. Fließgewässer mit hohem Gefälle eignen sich besonders gut für die Wasserkraftnutzung, da sie ein großes Energiepotenzial bergen. Kleinere Fälle können dadurch zum Versiegen gebracht werden und den großen wird Wasser abgezogen, das unterirdisch in Kraftwerke geleitet wird. Die Nutzung von Wasserkraft ist ökologisch sinnvoll, da CO2 neutral. Doch ihre Nutzung muss gut gegen den drohenden Verlust eines einzigartigen Landschaftselements und Habitats abgewogen werden. [LEERES_AUDIO] [LEERES_AUDIO]