[KEIN_AUDIO] Mein Name ist Andreas Vieli, und ich beschäftige mich mit Gletscherforschung. Gletscher sind auffällige Bestandteile der alpinen Landschaft. Sie haben auch einen Einfluss auf den Wasserabfluß in der Schweiz. In diesem Video schauen wir uns an, wie Gletscher funktionieren, wie sie sich dem Klima anpassen und wie sie den hydrologischen Abfluss verändern können. Gletscher entstehen dort, wo es so kalt ist, dass der feste Niederschlag, also Schnee, den Sommer überdauert. Dies benötigt einerseits genügend kalte Temperaturen und andererseits ausreichenden Niederschlag, was typischerweise in großen Höhen in Gebirgen auftritt, wie z. B. hier beim [UNBEKANNT] Gletscher im Wallis, wo der Winterschnee bis zu 3200 Meter die Sommerschmelze überdauern kann. Wir sprechen dort vom Akkumulationsgebiet, wo der Gletscher genährt wird. Unterhalb, im sogenannten Ablationsgebiet, schmilzt der Schnee im Sommer weg. Die Trennlinie dazwischen nennen wir die Gleichgewichtslinie. Jedes Jahr wird somit im Akkumulationsgebiet eine neue Schicht von Schnee abgelagert, was hier schematisch dargestellt wird. Dieser Schnee verdichtet sich unter dem eigenen Gewicht mit der Zeit zu Firn und schließlich zu Eis. Die Eisschicht würde somit jedes Jahr dicker werden und schlussendlich zu einer unendlich hohen Eiskappe wachsen. Eis verhält sich aber als eine viskose Flüssigkeit und beginnt, wenn genügend dick, unter dem eigenen Gewicht, sich zu deformieren und zu fließen, geradezu wie Honig. Dieses Eiskriechen und -fließen ist zum Beispiel an der konkaven Form von Gletscherzungen zu erkennen. Oder an den gekrümmten schuttreichen dunklen Bändern wie hier am Mer de Glace im Bild rechts. Zusätzlich zum Kriechen kann das Eis auch über den Untergrund gleiten. Wenn das Eis nun also eine gewisse Dicke erreicht, fliesst es talwärts ins Ablationsgebiet, wo die Temperaturen wärmer sind und Schmelze auftritt. Das Eis stößt dabei soweit ins Ablationsgebiet vor, bis alles von oben nachfließende Eis weggeschmolzen ist. Im Gleichgewicht entspricht also die unten weggeschmolzene Masse genau der oben jährlich akkumulierten Masse. Das heißt, der Gletscher ändert sein Volumen nicht mehr, und die mittlere Massenbilanz ist gleich Null. Bisher haben wir den Gletscher nur im Gleichgewicht betrachtet, wo sich die Akkumulation und die Ablation genau die Waage halten. Wenn nun aber eine sprunghafte Erwärmung stattfindet, reicht die Ablation weiter nach oben, und die Gleichgewichtslinie steigt. Die Massenbilanz wird negativ und der Gletscher verliert an Masse. Die Anpassung des Gletschers geschieht also durch eine Verkleinerung des Ablationsgebiets infolge eines Rückzuges der Gletscherzunge. Das Eis fließt natürlich immer noch nach unten. Wir sehen hier an der roten Kurve einerseits, wie die mittlere Massenbilanz nach der Erwärmung sprunghaft negativ wird, andererseits dauert es aber einige Jahrzehnte, bis der Gletscherrückzug, hier in Blau, einsetzt. Was dann wiederum den Massenverlust langsam verringert und den Gletscher schlussendlich wieder ins Gleichgewicht bringt. Gegenüber dem Klimasignal ist also die Längenänderung stark verzögert und geglättet, da nicht alle Gletscher die gleiche Geometrie haben, unterscheidet sich auch die Zeitskala der Anpassung deutlich. Und auch bei gleicher Klimageschichte unterscheidet sich das Längenänderungsverhalten. Die hier vom Schweizer Gletschermessnetz beobachteten Längenänderungen von vier Gletschern seit dem Jahre 1880 illustrieren dies deutlich. Dünnere Gletscher wie die grüne Kurve des Glacier de Trient zeigen über die Jahrzehnte klare Längenschwankungen, wie zum Beispiel den Vorstoß in den 80er Jahren als Folge eines Jahrzehnte andauernden Kältephase. Beim großen und dicken Aletschgletscher, hier in Schwarz, ist diese 1980er Vorstoß hingegen nicht zu sehen, und der Rückzugstrend erscheint viel träger und eher kontinuierlich. Entsprechend der mittleren Erwärmungstrend über die letzten 100 Jahre. Diese Verzögerung in der Anpassung der Gletscher auf ein Klimasignal heißt, dass die Gletscher in den Alpen auch ohne eine weitere Erwärmung noch einige Jahrzehnte zurückgehen würden. Als nächstes betrachten wir nun eine kontinuierliche Erwärmung, wie wir sie in der Zukunft ungefährt erwarten würden. So etwa drei Grad bis ins Jahr 2100. Mit der Erwärmung steigt die Gleichgewichtslinie kontinuierlich. Aber schneller als die Länge zurückgeht. Nach über 100 Jahren ist fast der ganze Gletscher verschwunden. Eigentlich wie wir dies für die meisten tieferliegenden Gletscher in den Alpen erwarten würden. Der resultierende Einfluss des Gletscherrückzuges auf den Abfluss ist in dieser Grafik abgebildet. Unter der Annahme eines konstanten Niederschlags, führt der zusätzliche Verlust von Gletschereis in den ersten paar Jahrzehnten zu einer Zunahme des Schmelz- und Jahresabflusses, hier an der roten und blauen Kurve gezeigt. Nach einigen Jahrzehnten ist aber der sogenannte Peak oder Spitzenabfluss erreicht, und der einsetzende Gletscherrückzug führt zu einer Reduktion des zusätzlichen Schmelzwassers, welches schließlich deutlich unter den Anfangswert vor der Erwärmung fällt. Mit dem Schwinden des Gletschers verschiebt sich auch die saisonale Spitze im Schmelzwasserabfluss von Mitte Sommer zum Frühsommer. Dies hat wegen der früheren Schneeschmelze einen höheren Abfluss im Frühling zur Folge. Es führt weiter auch zu einer deutlichen Verringerung des Schmelzwassers im Spätsommer. Im Oberlauf von vergletscherten Einzugsgebieten verlangen diese Veränderungen im Abfluss zu Anpassungen mit dem Umgang von Wasser, zum Beispiel für die Energiegewinnung mit Wasserkraft. Im Unterlauf ist der Einfluss des Gletscherabflusses jedoch deutlich geringer, und damit sind die Auswirkungen des Gletscherschwundes weniger bedeutend. Maßnahmen wie Abdeckungen der Gletscheroberfläche durch weiße Folien reduzieren die Schmelze deutlich. Sie können aber nur lokal eingesetzt werden, wie zum Beispiel hier am Rhonegletscher zum Schützen der Gletschergrotte und können langfristig den Gletscherrückgang nicht stoppen. Auch natürliche Schuttbedeckung reduziert die Schmelze, was sich hier durch die Erhöhung der Mittelmoräne deutlich zeigt, aber auch hier führt es nur zu einer Verlangsamung des Gletscherschwundes. In den Alpen scheint der Gletscherschwund unter dem heutigen Trend der Erwärmung also unaufhaltsam und die Gletscher werden sich bis gegen Ende Jahrhundert zu den höchsten Alpengipfeln zurückgezogen haben. In stark vergletscherten Einzugsgebieten wird dies nachhaltige Veränderungen im Abfluss zur Folge haben und gewisse Anpassungen verlangen, wie wir mit der Ressource Wasser umgehen. Vor allem in relativ ariden Regionen der Welt mit ausgeprägten Trockenperioden wie zum Beispiel in Zentralasien oder in Peru kann eine Reduktion des Gletscherabflusses einschneidende Folgen haben für die Landwirtschaft und für die Bevölkerung. Zusammenfassend ist eine Welt ohne Gletscher also nicht mehr ganz die gleiche Welt. [KEIN_AUDIO] [KEIN_AUDIO]